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Zwei junge Frauen liegen auf einer Wiese im hohen Gras und umarmen sich.Zwei junge Frauen liegen auf einer Wiese im hohen Gras und umarmen sich.Zwei junge Frauen liegen auf einer Wiese im hohen Gras und umarmen sich.
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„Ich bin lesbisch!“ – Vier persönliche Geschichten

Das JuLe-Café ist ein Angebot des Mädchen*treff e.V. in Tübingen, dessen „Fachstelle Vielfalt“ wir mit 85.000 Euro gefördert haben. Hier haben lesbische Mädchen und junge Frauen die Möglichkeit, sich auszutauschen. Für viele von ihnen ist es der erste Kontakt in die queere Community – und eine große Hilfe auf dem Weg zur eigenen Identitätsfindung. Im Rahmen unserer LSBTI*-Themenwoche teilen vier Besucherinnen des JuLe-Cafés mit uns ihre ganz persönlichen Erfahrungen. Auf Wunsch der Autorinnen wurden die Namen in diesem Artikel geändert.

Anna (23): „Homosexualität war für mich ein Urteil, Höchststrafe sozusagen.“

Auf dem Land aufzuwachsen und zur Schule zu gehen, wenn alle um einen herum merken, dass etwas an dir anders ist, ist schwer. Auf eine katholische Mädchenrealschule zu gehen, wenn alle anderen merken, dass etwas anders an dir ist, ist noch ein kleines bisschen schwerer.

Ich wurde groß in einer Gegend, in der der Streit zwischen Angehörigen des katholischen und des evangelischen Glaubens noch immer sehr ernst genommen wird, andere Glaubensrichtungen muss man hier nicht aufzählen, die werden schlichtweg ignoriert. Alles was anders ist wird verurteilt und geächtet. In meiner Schulzeit bekam ich das besonders zu spüren. Als das Herantasten an Kosmetikprodukte, angesagte Klamotten und vor allem das andere Geschlecht begann, fühlte ich mich mehr als Außenseiterin denn je zuvor. Mit all dem konnte ich einfach nichts anfangen auch wenn ich es noch so sehr versuchte. Man musste mit der Herde laufen, um anerkannt oder zumindest mal in Ruhe gelassen zu werden.

Mit 16 Jahren schloss ich die Realschule ab und wechselte auf ein sozialwissenschaftliches Gymnasium. Zwar immer noch auf dem Land, zwar immer noch mit katholischem Träger aber sehr viel… naja, sozialer. Die Hänseleien und die abwertenden Blicke hörten auf, meine Klassenkamerad*innen akzeptierten mich wie ich war, obwohl sie und auch ich noch keine Ahnung hatten, was mich wirklich von der Norm abweichen ließ. Bis 18 hatte ich so gut wie keine Kontakte zum männlichen Geschlecht und so kamen mir in immer enger werdenden Abständen Gedanken zu meiner Sexualität. ‚Wie hoch ist denn schon die Wahrscheinlichkeit, dass es genau dich trifft?‘ waren die üblichen Überlegungen der Zeit. Homosexualität war für mich ein Urteil, Höchststrafe sozusagen. Warum musste es genau mich treffen, ich hatte doch niemanden je etwas getan. Wie hätte ich es auch akzeptieren können, wenn der Großteil meiner Umwelt diese ‚Neigungen‘ verurteilte und durchweg negativ konnotierte. Ich hatte auch keine Vorbilder, es war ja niemand queer in meiner Umgebung, auf dem Land gab es  sowas einfach nicht und was queer überhaupt bedeutet wissen da heute noch die meisten nicht.

Irgendwann hielt ich es aber dann doch nicht mehr aus, verdrängen funktionierte nicht länger und es blieb nur noch der Weg nach vorn. Ich outete mich vor engster Familie und einer Hand voll Freunden. Es lief überraschenderweise alles sehr glimpflich ab. Auch wenn ich inzwischen nicht viel davon halte dankbar dafür sein zu müssen, dass man akzeptiert und nicht verstoßen wird für die eigene Sexualität, damals war ich es. Eine ungeheure Erleichterung, wie ich sie noch nie zuvor in meinem Leben verspürt habe und wahrscheinlich auch nie wieder werde. Es war als würde ein Damm brechen, ich dachte zuvor ich sei ich selbst gewesen, aber jetzt wusste ich wirklich was das heißt.

Nach der Schule ging es ein Jahr ins Ausland und diese Zeit brauchte ich, um meinen Frieden zu machen mit allem was mit Homosexualität in unserer Gesellschaft verbunden ist, mit allem was auf mich zukommen würde, wenn ich offen dazu stehe. Ich sage immer, ich habe mich mit 18 geoutet aber mit 20 habe ich es erst wirklich akzeptieren können. Ich fing ein Studium in Tübingen an, neue Stadt, neue WG, neue Menschen, eine Chance neu anzufangen. Bereits im ersten Semester fand ich meinen Weg zum Frauen*ProjekteZentrum und zum da ansässigen Mädchen*treff e.V. Die JuLe-Gruppe versprach eine Vernetzung mit Gleichgesinnten, die Aufnahme in die Community.

Für mich war das Anfangs eine ganz andere Welt, auf einmal konnte man laut aussprechen, was Jahrelang ein solches Tabuthema war und mir war nie bewusst wie viele queere Menschen es eigentlich gibt, da mir in meinen Teenagerjahren ja immer weisgemacht wurde, dass es sowas gar nicht geben darf. Diese Zeit in einer so liberalen Stadt wie Tübingen, die Akzeptanz, die ich von den meisten Seiten spüren konnte und die Unterstützung der JuLe-Gruppe haben mich in den letzten Jahren unglaublich geprägt. Als ich damals bei einem meiner ersten Male in der Innenstadt über die Neckarbrücke lief, musste ich in mitten der Brücke in Unglauben und Ergriffenheit stehen bleiben. Es gab dort ein Fenster, an dem die Regenbogenflagge gehisst war. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel über die queere Community und was dazu gehörte, aber dieses Zeichen erkannte ich und ich konnte es kaum fassen, dass es so in der Öffentlichkeit gezeigt wurde. In diesem Moment wusste ich, dass sich in Tübingen einiges für mich ändern würde und das zum Besseren. Aber ohne die JuLe-Gruppe, die Solidarität und die Verbundenheit unterhalb der Teilnehmer*innen und das dadurch Vermittelte Gefühl, nicht alleine zu sein, nicht anormal, nicht aussätzig zu sein und genauso viel wert zu sein, wie alle anderen Menschen auch, wäre ich heute mit Sicherheit nicht so sehr im Reinen mit mir selbst, wie ich es bin. Ich bin lesbisch, ich bin homosexuell, ich bin queer, ich falle aus der Norm und inzwischen kann ich sagen ich bin stolz und gehe mit hochgehaltenem Kopf durchs Leben, auch wenn mir das nicht immer leicht gemacht wurde. Auch wenn ich es immer für unmöglich gehalten habe, inzwischen bin ich in einer Beziehung mit einer wundervollen Frau die mich glücklicher macht, als ich es zuvor je war, warum sollte das also falsch sein?!

Lena (23): „Gleichgeschlechtliche Liebe war in meiner Familie ein Tabuthema.“

Ich bin in einer relativ konservativen Kleinstadt auf der Alb in einer sehr konservativen russisch- deutschen Familie aufgewachsen. Bei uns war das Thema gleichgeschlechtliche Liebe ein Tabuthema. Dementsprechend habe ich mich auch nie damit auseinandergesetzt, dass ich vielleicht auch mit einer Frau eine Beziehung haben könnte, wenn am Esstisch schon über meinen zukünftigen Ehemann, unsere Hochzeit, unsere Kinder usw. gesprochen wurde. Dass ich Mädels schon früh interessanter, hübscher und anmutiger fand, habe ich also gekonnt wegignoriert. Als es mir mit etwa 15 so langsam dämmerte, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühlte, vertraute ich mich meiner Tante an – die einzige erwachsene Person in meiner Familie, die ich als tolerant einschätzte und von der ich mir eine positive, vielleicht auch beruhigende Reaktion erhoffte. Meine Hoffnungen wurden leider enttäuscht, als sie mein Outing abwinkte mit „Ach, die Phase hat jedes Mädchen, das geht vorbei!“

Das Thema wurde also wieder zur Seite geschoben – es schien ja offensichtlich nicht so wichtig zu sein, oder? Und sowieso wurde in meiner Familie weiterhin fleißig über das Thema Ehemann und Kinder gesprochen. Also warum sich weiterhin darin vertiefen?

Auch in den folgenden Jahren behielt ich diese Gedanken bei. Ich datete nicht wenige Männer, teilweise wohl auch, um meine konservativen Eltern zu ärgern, für die natürlich auch Promiskuität ein rotes Tuch war. Dass ich mich dabei nur in den seltensten Fällen sexuell und/oder romantisch zu meinen Partnern hingezogen fühlte, beachtete ich nicht groß, schließlich war Heteronormativität die Ordnung, die mir familiär und von meinen Peers vorgelebt wurde. Zwar hatte ich Freund*innen, die bi-, pan- und homosexuell waren und mit mir über das Thema gleichgeschlechtliche Anziehung sprachen, jedoch winkte ich das Thema immer wieder für mich selbst ab – in einer kleinen Stadt auf der Alb konnte man das ja sowieso nicht so richtig ausleben, geschweige denn wenn meine Eltern mir im Nacken saßen. Wozu also unnötig Stress schieben deswegen?

Die große Ernüchterung kam dann, als ich mit 18 meinen ersten Kuss mit einer Frau hatte. Ich kannte das Mädchen kaum, wir waren beide betrunken auf einer Party und ich hatte schon wochenlang aus der Ferne für sie geschwärmt. Nach dem Kuss fühlte ich mich tagelang, als wäre ich mit Anlauf gegen eine Backsteinwand gerannt – es fühlte sich so überraschend an, so viel schöner und „richtiger“ als jeder Kuss, an den ich je mit einem Mann erlebt hatte. Meine Gefühle trafen mich mit voller Wucht: Wie konnte es sein, dass ich so eine wichtige, schöne Erkenntnis erst jetzt erlebte, dass ich meine Anziehung zu Frauen, mein Bauchgefühl, jahrelang so verdrängt hatte?

Von da an begann ich, mich mehr mit mir und meiner Sexualität auseinanderzusetzen, mich und meine Gefühle mehr zu beobachten und mich mehr mit anderen über das Thema zu unterhalten. Mein Umzug nach Tübingen half mir sehr dabei, meine Ängste und Bedenken hinter mir zu lassen. Dort stieß ich auch auf den JuLe-Treff. Für jemanden wie mich war es kaum zu glauben, dass sich dort junge zu Frauen hingezogene Frauen geschützt auf einem Haufen trafen, zu sich stehen und sich austauschen konnten. Ich hatte endlich das Gefühl, nicht mehr allein mit dem Thema und nicht „irgendwie komisch“ zu sein. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf outete ich mich schließlich vor meinen Eltern. Ich wusste, dass die Reaktion zumindest im ersten Moment keine gute sein konnte, aber ich fühlte mich gewappnet, geschützt. Ich konnte und wollte einfach nichts mehr verstecken, was zu mir gehörte.

Mittlerweile haben meine Eltern mich akzeptiert. Und was noch viel wichtiger ist: Ich mich auch. Ich kann jetzt endlich behaupten, mich selbst zu kennen und zu mir zu stehen.

Viktoria (19): „Meine ‚Anziehung‘ zu Männern* bestand hauptsächlich daraus, dass sich mein Selbstwertgefühl darüber definiert hatte.“

Da sich heutzutage die Auffassungen von Gender und dementsprechend auch die Bedeutungen von verschiedenen Sexualitätslabeln von Person zu Person unterscheiden, vermeide ich es generell mir irgendwelche Label aufzusetzen, da ich nicht missverstanden werden möchte, da meine Definition möglicherweise nicht der der anderen Person entspricht. Wenn mir Leute ihr Schubladendenken erläutern, dann habe ich kein Problem, mich in eine davon einzuordnen. Es ist mir auch prinzipiell egal, auf welches Label es dann hinausläuft, da ich selber die einzige bin, die mich tatsächlich 100% verstehen kann und auch die einzige, die weiß, was genau in meinem Kopf abläuft. Ich kann es aber in Maßen nachvollziehen, dass es anderen Leute das Verständnis erleichtert, wenn sie einen mit einem bestimmten Label assoziieren. Es fühlt sich dennoch für mich persönlich besser an auf etwas reduziert zu werden, wofür ich selber was kann bzw. auf etwas, für was ich mich selber entschieden habe.

Das, was mich mit 17 zur JuLe geführt hat, war genau das Bedürfnis nach einer Umgebung, in der meine Sexualität kein Alleinstellungsmerkmal mehr war. Die Abneigung gegenüber dem Gedanken, dass Leute mich als „die Lesbe/Bisexuelle“ oder so kennen, stammt bestimmt auch teilweise daher, dass in meiner Familie alles, was nicht unter Cis-gender und heterosexuell fällt, sehr abwertend angesehen wird. Ich merke immer noch hin und wieder, dass ich einiges an internalized homofobia (Erklärung, Anm. d. Red.) in mir trage. Mit 15 identifizierte ich mich einige Zeit mit dem Label „bisexuell“, da Homosexualität für mich nicht in Frage kam, da (wörtliches Zitat von mir früher:) „Lesben nur Frauen sind, die keinen Typen abbekommen“. Je mehr und mehr ich angefangen habe, meine eigene Einstellung zu hinterfragen und mich besonders auch mit LGBTQ+-Themen auseinanderzusetzen, merkte ich, dass meine„Anziehung“ zu Männern* hauptsächlich daraus bestand, dass sich mein Selbstwertgefühl darüber definiert hatte, wie attraktiv mich Männer* fanden. Dass ich wollte, dass sich bestimmte Leute angezogen zu mir fühlen, habe ich dann einfach dem gleichgesetzt, dass ich mich auch zu ihnen angezogen fühle, obwohl ich von ihnen eigentlich nur Validierung für mein Aussehen wollte.

In meiner Familie wird alles, was nicht unter Cis-gender und heterosexuell fällt, sehr abwertend angesehen.

VIKTORIA, JULE-BESUCHERIN

Ich finde Gruppen wie die JuLe bedeutsam, um sich verstanden zu fühlen, da es bspw. in meiner Schule bis zum letzten Schuljahr bis auf mich „offiziell“ kein anderes nicht heterosexuelles Mädchen* gab. Das soll jetzt nicht heißen, dass meine Freunde negativ reagiert hätten, als ich ihnen meine Orientierung erklärt habe, jedoch ist es nochmal was anderes, Zeit mit Leuten zu verbringen, die nicht nur zuhören, sondern auch mitfühlen können. Auch wenn ich persönlich nicht so gerne darüber rede, weil es einfach ein privates Thema für mich ist, ist es angenehm von Leuten umgeben zu sein, die es verstehen würden.

Mittlerweile mache ich mir selten Gedanken um das Thema, da es einfach in vielen Bereichen meines Lebens keine große Rolle mehr spielt und auch bisher noch kaum Probleme deshalb auftraten. Jedoch habe ich letztens die Zulassung für einen Studiengang bekommen, den ich persönlich fantastisch finde. Die Universität befindet sich aber im Ausland, genauer gesagt in der selbst deklarierten LGBT-Ideologie-freien Zone in Polen (rechtlich ist diese Zone eigentlich nicht durchsetzbar oder anerkennbar). Wie gesagt sind meine Freunde hier sehr gut im Umgang mit so Themen und Tübingen an sich ist auch ein sehr offener Ort (auch wenn ich auch hier schon angepöbelt wurde, als ich mit meiner Ex Händchen haltend durch die Stadt gelaufen bin). Es ist ein befremdliches Gefühl vor der Entscheidung zu stehen, seinen Wunschstudiengang zu wählen oder weiterhin problemlos und offen mit seiner Sexualität umzugehen. Auf Reisen bin ich es gewohnt solche Themen zu vermeiden, da es an Orten wie Moldawien und Indien schwer einzuschätzen ist, wie einzelne Leute darauf reagieren. Aber es ist nochmal eine Nummer härter an einem Ort zu leben, an dem Demonstrierende auf CSDs mit Rauchbomben angegriffen werden. Es sind eben genau solche Situationen, an die meine heterosexuellen Freund*innen einfach nicht denken, weil sie nicht vor dem Risiko stehen, damit konfrontiert zu werden. Deshalb finde ich Organisationen wie die JuLe wichtig als Zuflucht und Unterstützung, um sich normaler zu fühlen.

Jessica (21): „Liebe ist doch etwas sehr Schönes und es wird niemandem weh getan, nur weil sich eben zwei Frauen lieben.“

„Ich bin lesbisch!“. Das ist ein Satz, den ich in meinem Leben lange Zeit nicht einmal denken konnte. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen und wie es auf dem Land so oft der Fall ist, war alles verpöhnt, was in irgendeiner Art und Weise von „normal“ abweicht und so etwas wie Homosexualität gab es überhaupt nicht. Wenn doch einmal darüber gesprochen wurde, dann meist nur in Aussagen wie: „Wenn meine Kinder mit sowas ankommen würden, dann würde ich sie in Therapie schicken“.

Auch in der Schule waren viele nicht toleranter. So fielen dort Sätze wie „Homosexualität ist eine Sünde“, „Sowas darf man eben nicht ausleben“ und „Ich habe nichts gegen Homosexuelle, die können ja nichts dafür, aber gegen Homosexualität schon, denn das ist eine Krankheit und die muss geheilt werden“. Diese Aussagen kamen zum Teil auch von meinen Freunden und sie taten mir immer irgendwie weh, auch wenn ich teilweise noch nicht so genau wusste, warum. Auch als ich noch nicht geahnt habe, dass ich selbst lesbisch sein könnte, habe ich nie verstanden, wie man so etwas sagen kann, wie man jemandem verwehren kann, glücklich zu sein und einfach die Person zu lieben, die man eben liebt. Liebe ist doch eigentlich etwas sehr Schönes und es wird niemandem weh getan, nur weil sich eben zwei Frauen lieben. Wer gibt ihnen denn das Recht zu entscheiden, was richtig und normal ist und was falsch oder gar krank?

Das hat dazu geführt, dass ich den Eindruck vermittelt bekam, homosexuell zu sein wäre falsch, krank und insgesamt ein ziemlich schlimmes Schicksal. Doch ich konnte mich einfach nie für Jungs interessieren so wie all meine Mitschülerinnen. Ich habe versucht, es mir damit zu erklären, dass ich einfach noch nicht soweit wäre und dass sicher alles noch kommen würde. Doch irgendwann wuchs die Vermutung, ich könnte lesbisch sein und eigentlich fand ich die Vorstellung mit einer Frau eine Beziehung zu führen irgendwie sogar schön. Diesen Gedanken habe ich allerdings sofort wieder aus meinem Kopf verbannt, denn das hat mir ziemliche Angst gemacht und ich habe mir sehr gewünscht, dass ich nicht so bin, auch weil ich den Eindruck hatte, mit diesem Schicksal wäre die Chance auf ein glückliches Leben vorbei. Öffentlich eine glückliche Beziehung mit einer Frau zu führen? Nein, sowas geht nicht. Ich habe versucht mir einzureden, dass es ja auch total unwahrscheinlich ist, dass ausgerechnet ich lesbisch bin, warum ausgerechnet ich und vielleicht bilde ich mir das auch alles nur ein, weil ich so viel darüber nachdenke, dass ich irgendwann tatsächlich glaube, es stimmt.

Eine Weile lang konnte ich es noch verdrängen, aber irgendwann hat das nicht mehr funktioniert. Zeitweise war alles, worüber ich nachdenke konnte, ob ich nun lesbisch bin und was das dann für mich bedeuten würde. In dieser Zeit war ich sehr verzweifelt, ich saß oft nachmittags weinend in meinem Zimmer und wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Mit irgendwem darüber reden wollte ich allerdings auch nicht, ich habe im Gegenteil immer versucht es so tief wie möglich zu verbergen und ja keinen sehen zu lassen, was mich beschäftigt. Ich fühlte mich minderwertig. Ich habe mich vor Leuten verschlossen, aus Angst, es könnte doch jemand etwas herausfinden. Ich wurde zwar nie persönlich angegriffen oder aktiv diskriminiert, aber es wusste ja auch keiner davon und ich wollte mich auf keinen Fall zur Zielscheibe machen und keine Angriffsfläche dafür bieten, dass auf diese Art und Weise über mich geurteilt wird, oder ich doch noch beschimpft und ausgegrenzt werde. Ich hatte einfach den Eindruck etwas stimmt mit mir nicht und das Beste ist, wenn ich das niemals zeige und ich mich einfach so unauffällig wie möglich verhalte. Zudem war ich mir auch einfach noch unsicher was meine Sexualität betrifft und ich wollte auch meine Eltern, die dem Thema gegenüber zwar tolerant eingestellt zu sein schienen, nicht unnötig mit etwas belasten, dass sich irgendwann doch alles als Irrtum herausstellen könnte.

Es war für mich beinahe unglaublich, so viele queere Menschen treffen zu können und einen sicheren Ort zu haben, an dem ich frei sein konnte.

JESSICA, JULE-BESUCHERIN

Da ich kaum positive Äußerungen über Homosexualität zu hören bekam, hat sich in meinem Kopf mehr und mehr der Gedanke festgesetzt, dass die meisten Menschen schlecht darüber denken und es für eine negative Eigenschaft halten. Ich war mir sicher, wenn es denn nun doch so sein sollte, dass ich lesbisch bin, dann müsste ich diesen Makel sozusagen ständig mit so viel Positivem wie möglich ausgleichen, damit Leute, mit denen ich zu tun habe, darüber hinwegsehen können und trotzdem etwas mit mir zu tun haben wollen. Dieses Gefühl hatte ich relativ lange, auch noch als ich mir dann absolut sicher war, dass ich lesbisch bin, und ich mich einigermaßen damit abgefunden hatte. Damals war ich gerade fertig mit der Schule. An diesem Punkt war ich dann auch bereit meinen Eltern und Geschwistern davon zu erzählen, von denen ich ja zum Glück immer Toleranz vermittelt bekommen habe und eigentlich wusste, dass es für sie kein Problem sein würde. Dennoch war ich noch nie in meinem Leben so aufgeregt wie an dem Abend, als ich beschlossen hatte, es ihnen endlich zu sagen. Die Reaktionen waren durchweg sehr positiv und verständnisvoll, was mich so sehr erleichtert hat, wie nichts anderes jemals. Ich war danach allerdings immer noch der Meinung, dass diese Reaktion eher die Ausnahme ist und abgesehen vielleicht von, für mich zu diesem Zeitpunkt scheinbar unerreichbaren großen Städten, die allgemeine Meinung der Bevölkerung zum Thema Homosexualität eher doch sehr negativ ist.

Das hat sich dann erst in der Zeit meines Studiums geändert. Dort habe ich zunächst auch keinem davon erzählt, da ich mir nicht sicher war, wie die Leute reagieren würden und ich wollte nicht direkt ausgestoßen werden. Außerdem hatte ich immer noch im Kopf, ich müsste die Leute erst auf andere Art und Weise von mir überzeugen, damit sie trotz allem etwas mit mir zu tun haben wollen. Doch das hat sich relativ bald geändert. Ich erinnere mich noch ganz genau an einen Moment ziemlich zu Beginn des ersten Semesters. Ich war mit ein paar Kommilitonen feiern und dort war auch ein lesbisches Paar, dass jedoch von keinem besonders beachtet, oder gar merkwürdig angeschaut wurde. Das war das erste Mal überhaupt, dass ich ein homosexuelles Paar gesehen habe. Dann auch noch zu sehen, dass es eigentlich keinen besonders interessierte, war für mich eine unglaubliche Erleichterung. Sehr bald habe ich auch gemerkt, dass meine Freunde total offen und tolerant gegenüber Homosexualität sind.

Von da an habe ich mich immer wohler damit gefühlt, auch wenn ich es vorerst immer noch für mich behalten habe. Am Ende des ersten Semesters habe ich mich dann vor meinen Freunden geoutet. Alle haben sehr positiv reagiert, was mich sehr glücklich gemacht hat. Jetzt konnte ich mich so akzeptiert fühlen, wie ich bin und ich hatte endlich das Gefühl, mich nicht mehr verstellen oder etwas verbergen zu müssen.

In der Zwischenzeit habe ich angefangen mich zu informieren, ob es in Tübingen nicht vielleicht eine Art Treffpunkt gibt, bei dem ich Gleichgesinnte antreffen könnte. So bin ich auf das JuLe-Treffen gestoßen. Ein Treffen für junge lesbische und bisexuelle Frauen, das hat sich für mich ideal angehört. Eines Abends war ich dann bereit und habe beschlossen, dass dies ein guter Tag ist, um zum JuLe-Treffen zu gehen. Also bin ich los und war zunächst noch sehr aufgeregt, doch als ich dort ankam wurde ich sehr positiv und offen empfangen und direkt in die Aktivität miteinbezogen. Das war ein wirklich gutes Gefühl von bedingungsloser Akzeptanz und Verständnis, ich habe mich dort von Anfang an sehr wohl gefühlt. Es war für mich beinahe unglaublich so viele queere Menschen treffen zu können und einen sicheren Ort zu haben, an dem ich frei sein konnte und keinerlei Bedenken haben musste, wegen meiner Sexualität auf irgendeine Weise verurteilt oder anders behandelt zu werden. Das alles spielte hier auf einmal keine Rolle mehr. In der folgenden Zeit bin ich wann immer ich konnte zu den JuLe-Treffen gegangen und die Zeit da, sowie der Austausch mit Gleichgesinnten, hat mir immer mehr das Gefühl gegeben, nicht alleine zu sein und auch mit meinen Problemen nicht alleine da zu stehen. Das war eine große Erleichterung und dieser sichere Ort und der Austausch mit den Menschen dort hat mir letztlich geholfen, mit mir und damit, dass ich lesbisch bin, vollkommen im Reinen zu sein und dazu stehen zu können.

Heute bin ich stolz so zu sein, wie ich bin. Ich bin in einer Beziehung mit einer großartigen Frau und verbringe mit ihr die glücklichste Zeit meines Lebens. Das hätte ich früher nie für möglich gehalten, doch jetzt weiß ich, dass ich es, genau so wie jeder andere, verdient habe, glücklich zu sein.

Info

Der Mädchen*treff e.V. bietet Vielfältige Angebote für Mädchen an, u.a. einen offenen Treff für Grundschülerinnen, den „Girls Club“ für Mädchen* ab 12 Jahren und mit dem Projekt „Takaa-Niroo“ auch Bestärkungsprogramme für gelfüchtete Frauen und Mädchen. „Wir haben einen partizipativen Ansatz“, sagt Ulrike Hirn vom Mädchentreff e.V. „Das hießt, wir entwickeln die Angebote gemeinsam mit den Mädchen.“

Die JuLes-Gruppe, die lesbische Mädchen und junge Frauen anspricht, findet jeden zweiten und vierten Freitag im Monat statt, der „Treffpunkt jung & queer“ jeden ersten Montag im Monat. Die Etablierung der „Fachstelle Vielfalt“ wurde von uns mit 85.000 Euro unterstützt.

Ulrike Hirn erzählt im Artikel „Jung und queer: Die Angst vor dem Coming-out ist groß“ aus ihrer Sicht als Beraterin, warum junge Menschen aus der LSBTI*-Community auch heutzutage noch große Angst vor dem Coming-out haben – und was sich deshalb in unserer Gesellschaft ändern muss.

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